Warum ich als Arzt ausgestiegen bin

Zugegeben - die eigene Berufswahl zu hinterfragen ist nie einfach. Besonders dann nicht, wenn man mindestens 6 Jahre seines Lebens in ein hartes wissenschaftliches Studium investiert hat und den angestrebten Beruf eigentlich gerne ausüben möchte. Es ist aber von Zeit zu Zeit notwendig und wichtig, sich grundlegende Fragen über die eigene Arbeit zu stellen. Besonders dann, wenn die eigenen Werte zunehmend kompromittiert, und die Gesundheit in Mitleidenschaft gezogen wird. Laut Erhebungen des Marburger Bundes denkt jede 4. Ärztin ernsthaft darüber nach, den Beruf zu wechseln. Zur Erinnerung: 2019 war es jeder 5. Ich hatte diesen Punkt ebenfalls erreicht und das Gefühl, dass ich dringend etwas ändern muss, denn das, was ich tagtäglich in den Kliniken zu Gesicht bekam, frustrierte mich zusehends. Im Folgenden möchte ich dir einen kleinen Überblick geben, warum ich als Arzt vorerst hingeschmissen habe sowie über die wichtigsten Dinge aufklären, die sich meiner Meinung nach mehr als dringend ändern müssen.

#1 Der wirtschaftliche Druck

Die Fallpauschalen

Der erste Punkt ist kein Geheimnis: Kliniken sind seit Einführung des DRG-Systems im Jahr 2003 keine reinen Krankenstätten mehr, sondern gleichen viel eher gewinnorientierten Kapitalgesellschaften - ob sie es wollen, oder nicht. Das aktuelle System zwingt die Häuser dazu, Planwirtschaft zu betreiben, ökonomische Zielvorgaben umzusetzen und die Gesundheitsversorgung dadurch zu entmenschlichen. Zu gering ist der Betrag, der an einzelnen Therapien verdient werden kann. Zu eng das Korsett der Krankenkassen. Daraus entsteht ein Mangelsystem, dass sich selbst die Luft zum Atmen nimmt. Diese Probleme soll die kommende Krankenhausreform jetzt angehen. Es bleibt abzuwarten, ob die versprochenen Änderungen auch wirklich den notwendigen Strukturwandel verursachen.

Kompromisslose Fließband- und Akkordarbeit ist jedenfalls das Resultat des aktuellen Systems, Übertherapie und Fehldiagnosen nicht selten. Viele PatientInnen fühlen sich nicht gesehen, nicht gewürdigt und viele KollegInnen stumpfen ab, betäuben sich mit Alkohol und Medikamenten, werden krank oder begehen sogar Suizid. Die Suizidrate unter Ärzten ist ca. 5 Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Das liegt für mein Dafürhalten zu großen Teilen an der Art und Weise wie unser Gesundheitssystem strukturiert ist. Irgendwann machte mich diese Tatsache echt wütend. Wie kann es sein, dass man den ärztlichen Beruf nur unter Substanzmittelmissbrauch oder schweren gesundheitlichen Schäden ausüben kann? Das darf so einfach nicht weiter gehen.

Auch ich beobachtete während der klinschen Tätigkeit bei mir phasenweise immer wieder mentale Schwierigkeiten. Bevor ich morgens das Haus verließ, überkamen mich starke Ängste und Panik. Davon war von Außen allerdings nichts zu sehen. Genau wie alle um mich herum versteckte ich meine wahren Gefühle und Empfindungen hinter einer Maske. Aus Angst vor Ablehnung oder dem scharfen Urteil meiner Kollegen.

Menschlichkeit als Schwäche

Noch immer wird Menschlichkeit unter Ärzten als Schwäche angesehen, Gefühle als Ballast und Sensibilität als persönliches Versagen. Steile Hierarchien und eine knallharte Null-Fehler-Toleranz begünstigen dieses Verhalten. Das ist bei weitem kein Einzellfall und kann so nicht weiter gehen. Der Fokus auf das Patientenwohl leidet massiv darunter.

Die Ökonomisierung verursacht außerdem einen massiven Leistungsdruck beim Personal. Untersuchungen sollen möglichst ausladend und vielfältig durchgeführt werden, weil sie Geld einbrigen. PatientInnen müssen zügig aufgenommen und möglichst schnell wieder entlassen werden, um ein rentables wirtschaften zu garantieren.

Dabei entsteht unter Umständen eine Überdiagnostik, die unnötig viele gesellschaftliche Ressourcen verbraucht und Krankenkassenbeiträge unkontrolliert in die Höhe schnellen lässt. Stellen werden abgebaut um Kosten zu sparen und manchmal Eingriffe durchgeführt, die (noch) nicht nötig wären, damit das Controlling noch irgendwie aus den roten Zahlen kommt. Jeder kennt die klassiker der Hüft- und Knie-TEPs, bei denen zu Quartalsende beide diagnostischen Augen zugekniffen werden, um noch ein paar OPs auf den Plan schreiben zu können.

Das gesamte System muss ständig im Drehzahlbegrenzer laufen, um überhaupt wirtschaftlich zu bleiben. Oft ist es das selbst dann nicht. Laut der Krankenhausgesellschaft NRW schrieben 2023 4 von 5 Kliniken Verluste. Das kann nicht sein.

Keiner würde bei einem Auto anzweifeln, dass ein dauerhaftes rücksichtsloses Fahren unter Vollast ein verfrühtes Ende des Fahrzeugs bedeutet. Warum also gehen wir so selbstverständlich davon aus, dass es bei Menschen, die ständig am Rande der Belastungsgrenze arbeiten müssen anders ist? Immer mehr Pflegekräfte und Ärzte kündigen, weil sie dem Leistungsdruck nicht mehr standhalten, wodurch die Personaldecke noch dünner wird. Kann das wirklich unsere Vision einer sinnvollen Patientenversorgung sein?

Folgen für die Gesellschaft

Das hört natürlich niemand gerne, aber das macht es nicht weniger wahr. Genauso wahr ist: Die Konsequenzen müssen wir als Gesellschaft alle tragen. Auch die Politik. Keiner kann sich dieser Verantwortung entziehen. Die neoliberale Ökonomisierung vieler gesellschaftlicher Kernbereiche seit den frühen 2000ern ist eine gefährliche Fehlentwicklung, die uns mehr und mehr auf die Füße fällt. Nicht überall ist ein Fokus auf Gewinnmaximierung sinnvoll. Schon garnicht in Bereichen der öffentlichen Versorgung. Der ökonomische Rucksack, den wir als Gemeinschaft durch unser defektes Gesundheitssystem schultern müssen wird dadurch immer schwerer, statt leichter. Das muss sich ändern. Menschen haben dieses System geschaffen, also können Menschen es auch wieder ändern. Dazu muss aber jeder und jede die eigene Verantwortung erkennen und ins Handeln kommen. Tatsache ist: Unser Gesundheitssystem steuert gegenwärtig sehenden Auges auf einen gefährlichen Abgrund zu. Viele die dieses System einmal von innen kennen gelernt haben, werden dieser Aussage zustimmen. Leider scheint den Ernst der Lage in unserer Politik niemand in seiner vollen Tragweite zu bemerken.

Was ist die direkte Folge dieses Drucks beim Klinikpersonal? Burn-Out, Depressionen, hoher Krankenstand, ein herber Verlust an Lebensfreude und Wohlbefinden. Wollen wir wirklich von völlig ausgebrannten Menschen therapiert werden, die seit 27 Stunden ununterbrochen wach sind? Ich glaube nicht. Wir müssen aufhören, unsere ÄrztInnen und Pflegekräfte diesem unmenschlichen Druck auszusetzen.

Wir sind keine menschliche Ressource, die man nach Gutdünken verheizen kann, sondern exzellent ausgebildete und hochbelastbare ExpertInnen für den menschlichen Körper.

Wir müssen endlich verstehen: mentale und körperliche Krankheit unter Klinikpersonal ist KEINE persönliche Schwäche sondern Audruck eines strukturellen Problems. Wir sind keine menschliche Ressource, die man nach Gutdünken verheizen kann, sondern exzellent ausgebildete und hochbelastbare ExpertInnen für den menschlichen Körper. Berufe innerhalb des Gesundheitssystems sind traditionellerweise mit einem hohen Berufsethos verbunden und viele Menschen, die ihren Weg ins Gesundheitssystem finden, verfügen über hohe altruistische Motive. ÄrztInnen und Pflegende schmeißen also nicht hin, weil sie nicht mehr wollen, sondern weil sie nicht mehr können.

Die Wurzeln liegen seit jeher in der Organisationsform des Systems begründet und müssen dort entfernt werden. Wir betrachten jedoch oft nur die Symptome, halten sie für den eigentlichen Grund des Übels und wundern uns dann, warum sich an der grundlegenden Störung nichts ändert.

Meditationsworkshops und Yoga für das Personal reichen eben nicht, um den systemischen Leistungsdruck aus Kliniken zu vertreiben. Außerdem verschieben sie die Verantwortung unnötig auf das Individuum. Mutiges und konsequentes politisches Handeln ist hier das richtige Instrument. Wir brauchen ein radikales Umdenken und gesamtgesellschaftliche Veränderung. Den Status Quo zu erhalten, nur um bei der nächsten Legislaturperiode wiedergewählt zu werden ist niemals eine sinnvolle und nachhaltige Art, mit strukturellen Problemen umzugehen.

#2 Die unrealistischen Ansprüche

Wo wir gerade bei gesamtgesellschaftlicher Veränderung sind - auch wir als PatientInnen müssen uns einige unbequeme Fragen stellen. Oft haben wir völlig unrealistische und verschobene Erwartungen an die Medizin. Sobald wir eine Klinik oder eine Praxis betreten, scheint sich bei uns das seltsam egozentrische Gefühl einzustellen, der Mittelpunkt des Universums zu sein. Die Mitarbeitenden sollen am besten jetzt sofort alles stehen und liegen lassen und sich ausschließlich um uns kümmern. Die Bedürfnisse und Probleme der anderen Menschen scheinen plötzlich völlig egal zu sein.

Natürlich ist dieser Umstand auch der Tatsache geschuldet, dass Krankheit oder ein subjektives Krankheitsgefühl fast immer mit einem emotionalen Ausnahmezustand, sowie Ängsten, Sorgen und Befürchtungen einhergeht. Dennoch ist das keine Entschuldigung für unangebrachtes oder gar antisoziales Verhalten.

Nicht nur die Politik muss handeln, auch wir als Gesellschaft müssen dringend unsere Ansprüche an die Medizin und ihre Akteure hinterfragen.

Mir geht es nicht darum, das Leid meiner Mitmenschen zu bagatellisieren. Vielmehr möchte ich einen wichtigen Punkt klar machen: Wir müssen lernen, uns im Kontakt mit dem Gesundheitssystem respektvoll und achtsam zu verhalten. Wir dürfen kritisch Hinterfragen, wir dürfen nein sagen. Wir dürfen uns konstruktiv einbringen. Aber wir sollten uns in regelmäßigen Abständen klar machen, dass uns da Menschen aus Fleisch und Blut gegenüber sitzen, die ebenfalls ein Gefühlsleben haben und nicht unendlich belastbar sind.

Denn die emotionale Arbeit, die von Seiten des Personals aufgebracht werden muss, um unsere Forderungen, Wutausbrüche, Anfeindungen und Ausraster abzufangen - die noch dazu oft unbegründet sind - ist immens. Viele brechen unter dieser emotionalen Last igendwann zusammen. Ich selbst habe auch nur eine sehr begrenzte Kapazität für Beschimpfungen und Anfeindungen während meiner Arbeitszeit, wie du wahrscheinlich auch. Irgendwann ist das Fass voll. Jede Beleidigung, jede herablassende Anfeindung meiner Person oder meiner Arbeit kostet noch Stunden später emotionale Energie, die mir dann für die Patientenversorgung fehlt. Ich nehme das mit nach Hause. Und viele KollegInnen ebenfalls.

Deshalb muss nicht nur die Politik handeln, auch wir als Gesellschaft müssen dringend unsere Ansprüche an die Medizin hinterfragen und unsere unrealistische Haltung überdenken. Manche PatientInnen behandeln das medizinische Personal herablassend und zu oft geht wertvolle ärztliche Zeit für Menschen verloren, bei denen eigentlich keine medizinische Intervention notwendig ist, sondern vielmehr zwischenmenschliche Nähe und Zuwendung von Seiten der Gesellschaft angebracht wären. Die Folge ist ein hoher Frustrationsgrad.

Wir sollten uns deshalb alle fragen: Könnte mein Verhalten vielleicht der Tropfen sein, der das Fass zum überlaufen bringt? Könnte es sein, dass die Person gegenüber vielleicht deswegen hinschmeisst, weil ich gerade an der Anmeldung ausgerastet bin? Bin ich vielleicht auch Teil des Problems? Wie könnte ich mich anders verhalten?

#3 Die strukturelle Gewalt

Kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt, der sicherlich eng mit den oben genannten Beispielen korreliert - die strukturelle Gewalt innerhalb des Gesundheitssystems. Mal ehrlich: Wer fühlt sich in einer Klinik wirklich wohl, verstanden oder gut umsorgt? Vermutlich die wenigsten. Unsere Krankenhäuser sind Orte, die uns ein unbehagliches Gefühl geben inklusive der Angst vor Kontrollverlust oder sogar dem Tod. Jeder, der noch nie mit Ohnmachtsgefühlen zu tun hatte wird sie spätetestens nach einem stationären Aufenthalt kennen. Eigentlich bräuchten wir hier besonders viel Empathie, Wärme und zwischenmenschliche Nähe. Warum also fällt es uns so schwer, uns in ärztliche Behandlung zu begeben? Warum fühlen wir uns plötzlich so unsicher und ängstlich? Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist die latent vorherrschende strukturelle Gewalt.

ÄrztInnen und Pflegende sind grundsätzlich immer in einer Machtposition. Sie verfügen über Fachkenntnisse und Wissen, welches dem Laien nicht zur Verfügung steht. Auf dieser Basis werden Diagnosen gestellt, Untersuchungen durchgeführt und Eingriffe angeordnet. Diese Tatsache an sich ist eine natürliche Notwendigkeit, die ein Heilberuf mit sich bringt. Die Therapeuten müssen ein tiefer gehendes Fachwissen besitzen als die Patienten, um ihre Arbeit machen zu können. Daran ist nichts falsch.

Fehlender Respekt

Das Problem an der Sache ist allerdings: In der klinischen Realität wird diese Machtposition auch missbraucht - egal ob bewusst oder unbewusst. Aufgrund des hohen Leistungsdrucks und der enormen wirtschaftlichen Vorgaben setzen wir PatientInnen unter Druck, sich schnellstmöglich für oder gegen eine Intervention zu entscheiden und führen teilweise unnötig viele diagnostische und therapeutische Eingriffe durch. Nicht weil wir wollen, sondern weil wir müssen. Das wirtschaftliche Korsett zwingt uns dazu.

Der zwischenmenschliche Respekt vor dem freien Willen des Einzelnen bleibt dadurch oft auf der Strecke und viele Patienten fühlen sich dieser Maschinerie ausgeliefert. Manche gestanden mir sogar, sie fühlten sich “wie im Schlachthaus”. Besonders heikel ist das, weil die Betroffenen durch die Überreizung und Überforderung der Situation sowieso nicht ganz bei sich sind. Sie befinden sich in einem höchst vulnerablen Zustand und müssten eigentlich mit entsprechender Sorgfalt betreut und begleitet werden.

Dann wird von Seiten des Personals manchmal bewertet, verurteilt oder kritisiert, wenn sich die Kranken gegen eine intensive Therapie entscheiden, an der Richtigkeit der Diagnose zweifeln, oder sich noch etwas Zeit ausbeten. Schließlich sitzt der Klinik der systemische Leistungsdruck im Nacken.

Besonders ältere Menschen kommen mit diesem Tempo nicht zurecht und stimmen in vorauseilendem Gehorsam unnötig ausladenden Diagnostiken und Therapien zu. Damit nutzen wir, ob bewusst oder unbewusst die in jenem Moment vorhandene Schwäche unserer Mitmenschen aus und vermehren dabei das Leid der Betroffenen noch.

Steile Hierarchien und Strukturen

Es herrscht immer noch eine steile, patriacharlische Hierarchiestruktur, die durch emotionale und psychische Gewalt gegen Mitarbeiter aufrecht erhalten wird, sei sie auch noch so subtil. Da mir zu diesem Thema aktuell keine guten Studien bekannt sind, will ich auf persönliche Erfahrung zurückgreifen. Denn auch ich durfte diese emotionalen Misshandlungen und Demütigungen von Seiten der Vorgesetzten und KollegInnen am eigenen Leib erfahren. Dabei handelte es sich in keiner Weise um persönliche Einzelfälle, sondern um strukturelle, systematische Gewalt. Als wäre dies nicht genug, löst diese latente Gewalt auch noch einen erbitterten Konkurrenzkampf zwischen ÄrztInnen untereinander und zwischen dem Klinikpersonal aus.

Der Chef hat dich heute morgen in der Frühbesprechung schon wieder vor 30 KollegInnen zusammengebrüllt, weil du einen Fehler im Arztbrief hattest? Der Operateur beleidigt dich am Tisch und verkündet vor allen Anwesenden lautstark deine bodenlose Unfähigkeit, weil du die Schnitttechnik noch nicht perfekt beherrschst? Du gehst aus deinen Feedback-Gesprächen während der Facharztausbildung heraus und fühlst dich mies, weil sie ausschließlich gesprägt sind von Kritik und "Du-bist-nicht-gut-genug”-Formulierungen? Deine Kollegen behandeln dich herablassend und blockieren dein berufliches Weiterkommen, weil du Care-Arbeit leistest und deswegen nur noch in Teilzeit kommst? Da haben wir 4 sehr gute Beispiele für die strukturelle Gewalt innerhalb des Gesundheitssystems. Ich denke der Punkt wird klar.

Die Strukturen innerhalb des Gesundheitssystems sind nicht ausgelegt auf Wachstum und Entfaltung der Mitarbeitenden, sondern mehr auf Kleinhaltung und Demütigung des Einzelnen. Die Null-Fehler-Toleranz tut hierzu ihr Übriges. “Da mussten wir auch durch, also stell dich nicht so an”, oder “Wenn du das nicht aushältst, hast du halt den falschen Beruf gewählt” hört man auch heute noch von vielen KollegInnen, sobald man die offensichtlichen Misstände laut und konkret anspricht. Wann verstehen wir endlich, dass am Ende die PatientInnen die Leittragenden dieses unreifen Machtgehabes sind?

Es herrscht ein Anspruch an die Mitarbeitenden, der von Menschen aus Fleisch und Blut einfach nicht zu bewerkstelligen ist. Fehler passieren. Punkt. Wir müssen endlich anfangen, eine gesunde Fehlerkultur zu entwicklen. Die Lernforschung hat mittlerweile viele Belege dafür gesammelt, dass eine Null-Fehler-Toleranz sogar weitere Fehler provoziert, anstatt sie zu verhüten. Eine gesunde und offene Fehlerkultur hingegen schafft einen echten und nachhaltigen Lernfortschritt bei allen Beteiligten. Davon profitieren auch direkt die PatientInnen.

#4 - Ein neuer Weg

Viele gesundheitlichen Probleme der Menschen sind keine persönlichen Schwächen des Einzelnen, sondern Symptome eines systemisch fehlregulierten Gesellschaftsmodells, dass Leistung und Gewinnmaximierung über alles stellt und dementsprechend Strukturen erschafft, die nicht den natürlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen entsprechen. Wir zerstören damit schließlich nicht nur unsere eigene Gesundheit, sondern auch die unseres Planten. Wir tragen die Verantwortung für unser Wohlbefinden nicht alleine - auch unsere Systeme sind mitverantwortlich für die Gesundheit ihrer Mitglieder.

Es braucht eine frische und neue Sicht auf unsere Gesundheit. Dazu gehört auch ein radikal neuer Tätigkeitsfokus. Weg von Therapie der Krankheit hin zum Erhalt der Gesundheit.

Wir sollten dann ärztlich eingreifen, wenn es wirklich nötig ist. Im Notfall zum Beispiel. Oder bei lebensbedrohlichen und zeitkritischen Erkrankungen. Wir sollten Zivilisationskrankheiten konsequent mit Lebensstiländerungen behandeln und die zugrundeliegenden pathologischen Strukturen der Leistungsgesellschaft umbauen.

Die Bevölkerung bestmöglich dabei zu unterstützen, Krankheiten garnicht erst entstehen zu lassen, wäre ein wichtiger Schritt hin zu einem echten Gesundheitssytem. Dann müssten wir nicht diesen enormen wirtschaftlichen Aufwand betreiben, um z.B. klassische Wohlstandserkrankungen wie arterielle Hypertonie, Diabetes Mellitus Typ 2 oder die Folgen von Fettstoffwechselstörungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle zu behandeln.

Momentan verfolgen wir den einfachen Ansatz: “Was bringt am meisten Geld?” und fördern damit indirekt den Erhalt von Erkrankungen. Denn das aktuelle System profitiert von Krankheit, nicht von Gesundheit. Dieses Denken kann allerdings nie Nachhaltig sein und im Einklang mit einer wirklich gesunden Gesellschaft stehen. Ein Gesundheitssystem sollte immer im Stande sein Gesundheit zu (er)schaffen und bestmöglich beim Erhalt dieser zu unterstützen.

Den Lebens- und Arbeitsstil als Ursache oder Brandbeschleuniger vieler westlicher Erkrankungen in den Fokus der Behandlung zu rücken würde nicht nur Ressourcen sparen und das Klinikpersonal entlasten - es würde den PatientInnen auch ein völlig neues Lebensgefühl schenken.

Es ist Zeit, für neue, dynamische Gesundheitskonzepte, die näher an unserer alltäglichen Lebensrealität sind. Warum trauen wir uns also nicht, neu zu denken? Unkonventionell? Warum lassen wir uns so sehr einengen von alten, konservativen Glaubensmustern und unterdrückenden Strukturen? Warum begehren wir nicht auf und lassen diese Umstände einfach über uns ergehen? Was in der Vergangenheit schief gelaufen ist, muss nicht zwangsläufig in der Zukunft genauso laufen. Es würde dabei allen besser gehen. Also lasst es uns versuchen - schließlich geht es um unsere Gesundheit.

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