Leben ohne Social Media - Ein Erfahrungsbericht

Eine Gruppe junger Menschen schaut auf ihre Smartphones

Leben ohne Social Media. Wie bitte? Hast du das gerade wirklich gesagt? So oder so ähnlich sehen oft die Reaktionen meiner Mitmenschen aus, wenn ich davon erzähle, dass ich ein Leben ganz ohne Facebook, Instagram, X und TikTok führe. Die anfängliche Skepsis weicht meist schnell einer ehrlichen Neugierde und ich werde gefragt, wie ich das mache. Deswegen möchte ich dir hier einen Einblick geben, wie ein Leben ohne Social Media aussieht.

Mir liegt dieser Artikel schon länger auf dem Herzen, denn wenn man „Leben ohne Social Media“ bei Google eintippt, findet man eigentlich nur Anleitungen für einen besseren Umgang mit den Plattformen oder einige wenige Erfahrungsberichte von Menschen, die mal ein paar Wochen darauf verzichtet haben, aber dann aufgrund von ausgeprägter FOMO wieder in die Netzwerke zurückgekehrt sind. Irgendwie fehlt es an ehrlichen Artikeln von Menschen, die ein glückliches, Social Media freies Leben führen. Davon gibt es einige. Nur findet man darüber wenig im Internet.

Also schließe ich diese Lücke jetzt und gebe dir einen kleinen Einblick, warum es die beste Entscheidung deines Lebens sein kann, deine Social Media Accounts zu löschen und dich wieder ganz dem Hier und Jetzt zu widmen. Ich möchte dabei bewusst auf Meinungsmache und Urteile über Soziale Netzwerke verzichten, davon gibt es bereits genug. Du musst für sich selbst entscheiden, welche Rolle die Sozialen Medien in deinem Leben spielen sollen. Aus meinem sind sie vor 3 Jahren verschwunden, und ich bereue keine Sekunde. Mein Leben hat sich seitdem vollkommen verändert, und ich möchte diese Veränderungen mit dir teilen. Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen!

Ich möchte mit einer interessanten Beobachtung beginnen: Nach meiner Erfahrung treibt der Gedanke, sich aus den sozialen Medien zu verabschieden und ein Leben ohne Social Media zu führen vielen Menschen den Angstschweiß auf die Stirn. Sofort haben sie Bilder im Kopf von Vereinsamung, Uninteressantheit und FOMO. Sie fürchten sich, den Anschluss zu verlieren, Freundschaften zu verlieren, vielleicht sogar Jobmöglichkeiten zu verlieren. Das ist besonders vor dem Hintergrund interessant, dass Social Media ein sehr junges Phänomen ist. Die Plattformen wurden in den frühen 2000ern gegründet und haben seit dem einen unvergleichlichen Siegeszug auf die Smartphones und Computer der Bevölkerung angetreten.

Im Verhältnis zum Alter der menschlichen Zivilisationen ist dieser Zeitraum allerdings nicht mal die Dauer eines Wimpernschlags. Gerade einmal 15 Jahre begleiten uns die Sozialen Netzwerke jetzt auf einer breiten Basis, es fühlt sich aber so an, als wäre es nie anders gewesen. Im Jahr 2022 nutzten in Deutschland knapp 61 Millionen Menschen digitale Netzwerke, das sind fast drei Viertel der Bevölkerung. Social Media hat sich also längst als selbstverständlicher Teil unseres Lebens etabliert. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass vielen Menschen ein Leben ohne Social Media als völlig unmöglich erscheint. Wie also sieht ein Leben ohne Social Media aus, und welche Vorteile bringt es mit sich? Im Folgenden zeige ich dir die wichtigsten Auswirkungen, die dieser Schritt auf dein Leben haben kann.

1. Du hörst wieder zu

Hast du dich eigentlich mal gefragt, ob du deinen Mitmenschen wirklich zuhörst, wenn sie dir etwas erzählen? Wo bist du in Gedanken, wo ist deine Aufmerksamkeit? Die Antwort auf diese Fragen kann sehr unangenhm sein. Ein Teil unserer Aufmerksamkeit hängt oft in den Sozialen Medien, und ist hier gebunden. Wir überlegen uns, was wir wie als nächstes posten können, sind abgelenkt von Likes und Kommentaren und der ständigen Reizüberflutung in unseren Newsfeeds, selbst wenn unser Smartphone gerade ausgeschaltet ist. Brain Fog kann die Folge sein.

Oft ist uns das nicht bewusst. Bei mir hatte das tatsächlich eine große Auswirkung auf meine Fähigkeit, Menschen wirklich aufmerksam zuzuhören. Ich war ständig in Gedanken woanders, habe das damals aber nicht wirklich so wahr genommen. Erst nachdem ich ein paar Monate keine Social Media Accounts mehr hatte, ist mir aufgefallen, wie sehr meine Fähigkeit wirklich zuzuhören darunter gelitten hat.

Wenn ich mich jetzt mit Freunden und Familie treffe, oder mit fremden Menschen auf der Straße rede bin ich wirklich anwesend. Mit jeder Faser meines Körpers. Ich höre wirklich zu. Dadurch ist es sehr leicht geworden, tiefe, starke und echte Verbindungen zu meinen Mitmenschen aufzubauen. Ganz ohne Anstrengung. Es passiert einfach. Dadurch entsteht ein wunderbarer und bereichernder Austausch, der für beide Seiten einen Gewinn bedeutet. Seit ich ein Leben ohne Social Media führe treffe ich ständig überall Menschen, mit denen ich hochinteressante Gespräche führe und mich austausche. Im Flugzeug, in der Bahn, im Café, auf der Straße – ganz egal! Ich habe schließlich nur diese eine Möglichkeit, wenn ich mit meinen Mitmenschen in Kontakt kommen will. Ich muss mit ihnen sprechen, und kann nicht auf digitale Plattformen ausweichen.

Was ich dadurch gelernt habe: Die Welt ist voller wunderbarer Menschen, die nur darauf warten, ihre Geschichte teilen zu können und viele haben sehr interessante Dinge zu erzählen. Daraus ergeben sich Gespräche, die unendlich viel interessanter sind, als die inhaltslosen und austauschbaren Posts auf Instagram, Facebook und TikTok. Ohne die digitalen Parallelwelten im Hintergrund hat man plötzlich einen Blick für diese Menschen und Situationen. Sie kommen dann wie von alleine auf uns zu. Das bereichert mein Leben ungemein und ich wachse daran täglich. Ich möchte keinen Tag mehr auf dieses wunderbare Geschenk verzichten.

Das Leben findet draußen statt, nicht hinter unseren Smartphone-Bildschirmen! Echter direkter Austausch mit deinen Mitmenschen ist so viel reicher und intensiver als Pixel und Swipes.

Übrigens: So habe ich auch meine Freundin kennen gelernt. Ich habe sie einfach im Café angesprochen. Ganz old-school. Ohne Tinder, Bumble oder Lovoo. Wir sind jetzt seit fast 3 Jahren zusammen und führen eine glückliche und erfüllte Beziehung. Ich bin mir sicher: Das war nur ohne Social Media möglich. Mit der ständigen Ablenkung durch mein Smarphone wäre sie mir vermutlich nie aufgefallen.

2. Du hast wieder Zeit

Hand aufs Herz: Wie viel Zeit hast du diese Woche in den sozialen Medien verbracht? Im durchschnitt verbringen wir ca. 1,5 Stunden täglich auf Social Media. Mal mehr, mal weniger. Das klingt auf den ersten Blick garnicht so viel, relativiert sich aber, wenn man bedenkt, dass es sich um 18,75% deiner Wachzeit handelt, in der du nicht arbeitest (gemessen an einem durchschnittlichen Arbeitstag von 8 Stunden, sowie 8 Stunden Schlaf). Diese Zeit summiert sich im Laufe des Lebens. Seit ich ohne Social Media lebe konnte ich neue Dinge lernen und ausprobieren. Ich habe gelernt, wie man elektronische Musik produziert, und mehrere EPs veröffentlicht. Ich habe angefangen zu schreiben. Ich habe jeden Tag eine halbe Stunde meditiert. Ich habe eine Ausbildung zum Yoga-Lehrer absolviert. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Natürlich kann man all diese Dinge auch machen, wenn man auf Social Media aktiv ist – allerdings kann es dann deutlich schwerer fallen, weil ständige Ablenkung verfügbar ist. Letztendlich haben sich diese 1,5 Stunden, die ich am Tag mehr zur Verfügung hatte aufsummiert, und Veränderung in alle Lebensbereiche getragen. Ich hatte wieder Zeit, einfach raus zu gehen, mich in ein Café zu setzen und einfach zu beobachten was um mich herum geschieht. Ganz ohne Hintergedanken. Ohne den Druck, mein Smartphone aus der Tasche zu nehmen, und ein Foto von meinem Kaffee zu posten. Einfach leben ohne Social Media. Einfach sein. Ein unglaubliches Gefühl.



3. Dein Selbstwertgefühl steigt

Eine der größten Schattenseiten von Social Media ist der Einfluss auf unser Selbstwertgefühl. Auf unseren Smartphone-Screens ist nichts echt. Alles was wir auf Instagram, Facebook oder TikTok sehen ist in irgend einer Weise gestellt, kuratiert und vorausgewählt. Algorithmen passen die Inhalte an unsere Vorlieben an und Content Creators passen ihren Content an die Algorithmen an. Ehrlichen und authentischen Content, der keinem speziellen Zweck dient findet man nur selten. Was zählt, sind Klicks und Likes, Quantität vor Qualität. Dadurch verlieren wir den Bezug zur Realität. Willkommen in der Attention Economy. Die ständige Vergleicheritis die damit einhergeht, hat natürlich einen großen Einfluss auf unser Selbstwertgefühl und das Bild, das wir von uns selbst haben.

Eine Studie der Royal Society of Public Health fand 2017 heraus, dass vor allem Instagram einen besonders negativen Einfluss auf das Körperbild seiner NutzerInnen hat. Das zweifelt mittlerweile auch wirklich niemand mehr an - Meta selbst weiß davon, wie die Enthüllungen durch Frances Haugen im Jahr 2021 belegen.

Bei mir war das ähnlich. Mir fiel irgendwann auf, dass meine Herzfrequenz und mein Blutdruck steigen, sobald ich Instagram öffne. Ich bekomme leichte Schweißausbrüche beim Anblick der perfekten Leben in meinem Newsfeed. Nach nicht einmal 10 Minuten auf der Plattform fühle ich mich klein und minderwertig, nicht gut genug. Depressive Verstimmungen waren oft die Folge. Ich merkte lange nicht, dass die gestellten Fotos in den Sozialen Medien überhaupt nichts mit der echten Lebensrealität der Menschen dahinter zu tun haben. Ich entschied mich deshalb, für ein Leben ohne Social Media. Seit dem sind diese Angstattacken verschwunden und mein Selbstwertgefühl ist konstant gut.

4. Du siehst deine Mitmenschen wieder, wie sie wirklich sind

Warst du schonmal nervös vor einem Date, weil du vor dem ersten Treffen das Insta-Profil von deinem Gegenüber gecheckt hast? Hattest du dann schon ein Bild im Kopf von ihm oder ihr und das Gefühl, dass du da sowieso nicht mithalten kannst? Ich hatte das. Immer. Bis ich meine Social Media Accounts gelöscht habe. Vor jedem Date habe ich sorgsam die Profile durchgescrollt, und was ist dadurch passiert? Ich hatte ein völlig verschobenes, unrealistisches Bild von meinem Gegenüber. Das Bild was ich von mir selber hatte konnte damit natürlich nicht mithalten. Ich fühlte mich minderwertig. Das hat vor allem erste Dates sehr beeinflusst. Ich war oft verkrampft und habe versucht, irgend etwas darzustellen. Wie ein Schauspieler. Sehr unauthentisch und auch irgendwie nicht sexy.

Seit dem ich keine Social Media Profile mehr habe, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Selbstdarstellung eines anderen Menschen zu konsumieren bevor ich mich mit ihm oder ihr treffe. Ich muss sie im echten leben kennen lernen. Ohne Filter, ohne Algorhitmus. Niemand kann sich mehr hinter einer digitalen Maske vestecken. Meine Lebensqualität hat sich seit dem massiv verbessert. Ich lerne jetzt Menschen kennen, mit denen ich mich früher vor lauter Minderwertigketisgefühlen niemals getroffen hätte. Ich führe Freundschaften mit Menschen, die nur durch ein Leben ohne Social Media vor meiner Nase auftauchen konnten. Ich bin authentisch und ehrlich zu meinen Mitmenschen und verstecke mich nicht mehr hinter einer digitalen Maske.

5. Dein Leben entwickelt eine völlig neue Tiefe

Weißt du was das Problem an der Reizüberflutung auf Social Media ist? Wir tauschen wenige tiefe, bedeutsame Kontakte gegen viele flüchtige und oberflächliche Bekanntschaften. Dadurch verliert unser Leben an Tiefe. Unsere Freundschaften werden oberflächlicher, unsere Erfahrungen flacher. Damit sinkt unsere allgemeine Lebensqualität und unsere Lebensfreude. Wir sind soziale Wesen, und brauchen tiefe Bindungen zu anderen Menschen wie die Luft zum Atmen. Sobald du deine Accounts in den Sozialen Medien still legst oder löschst und dich dazu entscheidest, ein Leben ohne Social Media zu führen, hast du nicht mehr die Möglichkeit Tiefe gegen Oberflächlichkeiten zu tauschen. Du wirst es dann auch nicht länger wollen. Wenn du einmal erfahren hast wie wunderbar es ist, tiefe Bindungen zu deinen Mitmenschen zu Pflegen anstatt unzähligen Online-Bekanntschaften nach zu jagen, wirst du nicht mehr zurück wollen.

6. Du hast wieder Platz im Kopf

Für das langfristige Gefühl nach dem Löschen deines Instagram oder TikTok-Accounts müsste es ein eigenes Wort geben. Wenn ich einen passenden Begriff dafür finden müsste, würde ich dieses Gefühl einfach Headspace nennen. Platz im Kopf. Raum zwischen den Gedanken. Leere. Stille. Vielleicht fällt dir ja auch ein passender Begriff ein? Die sozialen Medien verhindern durch ihren dopaminzentrierten Aufbau und die psychologischen Manipulationen an uns aktiv, dass wir innerlich zur Ruhe kommen und langsamer werden. Die Art und Weise, wie sie programmiert sind wirken als ständiger Reiz - wie ein Kind, das 24 Stunden am Tag neben uns steht und etwas von uns will. Nur dass ein Kind eben nicht 24 Stunden am Tag neben uns steht und etwas von uns will. Die sozialen Medien schon. Das kann nachweislich Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen verursachen. Dadurch verpassen wir das Leben direkt vor unserer Nase. Alles nur, damit wir mehr posten, mehr liken, mehr interagieren und die Plattformbetreibenden maximale Gewinne einfahren können. Ohne das Attention Engineering würde der Firmenwert von Meta, Google, X und ByteDance in den Keller rauschen, da wir keine Anreize mehr hätten, die Plattformen in dem Umfang zu nutzen, wie wir es aktuell tun. Sie nehmen also einen unheimlichen Raum in unseren Köpfen ein, der uns dann für andere Dinge nicht mehr zur Verfügung steht. Ein Leben ohne Social Media gibt uns diesen Platz im Kopf zurück.

Dieser Raum zwischen den Gedanken ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl!

Du siehst also, es gibt viele gute Gründe, ein Leben ohne Social Media zu führen. Ich habe vor 4 Jahren damit angefangen, und erhlich – ich möchte nie wieder zurück.

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